TAG 42. Vorbei.

Fast alles ist zusammengepackt. Ich hab noch einen Einzelgesprächstermin, einen Arztbesuch und dann war´s das. Zu Ende packen und den letzten Abend gestalten. Habe gestern C. zum Bahnhof gebracht und heute K. verabschiedet. Bemerkt, wie sehr mein Reha-Verhalten mein Draußen-Verhalten spiegelt: Draußen zieh ich mein Ding alleine durch und auch hier habe ich mich an niemanden gebunden. Für K. und C. war der Abschied hart. Ich verabschiede mich ohne Träne im Knopfloch. Unsentimental. Selbst die wirklich liebe Verabschiedung durch meine Sport-Therapeuten (Frau L. hat mich in den Arm genommen, Herr K. betont, ich müsse unbedingt in die Gegend wiederkommen – aber zum Urlaub!), das hat mich bewegt, aber nicht zum Heulen gebracht. Nach der Inflation von Tränen, der großen Flutwelle allüberall, geh ich – trocken. Und mit einem unfertigen Gefühl. Ich habe hier einen Prozess begonnen, den ich weiterführen werde. Na klar will ich noch immer alles vermeiden, was mir Angst macht und unangenehm ist, aber ich weiß, damit komm ich weder weit noch durch.

Mein letztes Einzelgespräch ernüchternd – ich bin arbeitsfähig. Wie? Ich bin noch nicht so weit. Ich tauche also in der Klinik-Statistik als geheilt auf, und das zählt. Vor allem für die BfA, die mir diese Reha ermöglicht hat. Meine Stimmungskurven haben sich verbessert – das stimmt, es GEHT mir besser. Aber bin ich geheilt? Ich bin noch weit davon weg.

Saß bis vor ganz kurzem mit einem Glas Rotwein auf dem Balkon. Mein Abschied von W. heute war ein weiterer Ausflug in den Lightroom. Kölpiner See, Strandcruisen. Blöderweise legte sich sofort der selbe Typ vom letzten Mal zu mir und es dauerte eine Weile bis ich ihn abgeschüttelt hatte. (Nachdem alle Möglichkeiten aus dem Repertoire des „Training Sozialer Kompetenz“ gescheitert waren.) Ich tat wie mein erster Sex hier – ich stand auf und ging weiter. Erst pinkeln, dann den Segler anschauen, der unnah von den Büschen im Gras saß und wichste. Da hab ich mich daneben gesetzt und es ihm gleich getan, während wir uns über das Wetter, den „Urlaub“ an der Seenplatte und Segelboote austauschten. Auch eine neue Erfahrung. Wie FKK. Also irgendwas hat´s doch gebracht, wenn ich mich nackt an einen Strand lege und im gleißenden Sonnenschein, bewabert von den Reflektionen, die die Wasseroberfläche auf meinen Körper zaubert, die Haare nass vom Süßwasser, der Körper ungleichmäßig gebräunt aber 300 Gramm leichter und mit ein paar Muskeln mehr, ein bisschen Fett weniger, meinen Schwanz wichse und wichse, und lächle und wichse und irgendwann auf das hochgewachsene Gras komme, während ein Mann mit hübschem Körper und dänischem Akzent seine Eier krault. Nicht ankomme. Komme. Oder doch ankomme? Und wieder mal heißt es: „...und jetzt fang ich erst an. Das ist der Anfang.“
winomat - 21. Dez, 11:08

ALLES GUTE


nah - 21. Dez, 20:00

Habe das alles so gern gelesen. Danke dafür. Und: alles Gute!, ja.

BlogBar - 25. Jun, 12:14

Jetzt habe ich die ganze Geschichte

in einem "Rutsch" gelesen. Was Sie als großes Kompliment verstehen dürfen. Die meisten Geschichten fesseln mich nicht einmal über "Tag 2" hinaus.
Und nun kann ich nur noch die Daumen drücken, dass die Umsetzung des Bearbeiteten (und da weiss ich, wovon ich spreche) in "real life" erfolgreich sein wird!

Liebe Grüsse

Lulu

glamourdick - 30. Jun, 12:24

dankeschön!
lore.berlin - 18. Jul, 21:25

Tief berührt, hat mich die Geschichte. Ich habe mir Zeit gelassen, sie komplett zu lesen. Manchmal mit Tränen in den Augen, manchmal lachend, "die war öfter in der Raucherecke anzutreffen, als die Aschenbecher".

Als wir uns letzte Woche trafen, wußte ich noch nichts von batesmotel. Nur das eine Reha irgendwann stattfand.

Du bist ein ganz besonderer, bemerkenswerter Mensch. Selten habe ich jemanden kennengelernt, der so sensibel und feinfühlig ist. Mir fehlen irgendwie die richtigen Worte. Ich glaube fest daran, dass Du Deinen Weg finden wirst.

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42 DAYS

Sozialphobie ist die dritthäufigste psychische Störung nach Depression und Alkoholismus. Unser Protagonist leidet seit vielen Jahren an dieser Erkrankung. Nachdem ihn die Phobie beruflich und in viererlei Hinsicht auch privat ins Aus katapultiert hat, beschließt er, sich in Behandlung zu begeben. Und weil er es sich nicht leicht machen will und an radikale Methoden glaubt, begibt er sich für eine sechswöchige REHA-Maßnahme in eine Fachklinik für psychosomatische Erkrankungen. An eines hat er jedoch nicht gedacht: dass die Kliniksituation an sich, die ständige Konfrontation mit Patienten und Pflegepersonal, zunächst einmal Futter für seine Ängste sein wird. Anstatt sich in der Klinik aufgehoben zu fühlen, schlägt er dort zunächst ziemlich hart auf.

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