Donnerstag, 15. Dezember 2005

TAG 42. Vorbei.

Fast alles ist zusammengepackt. Ich hab noch einen Einzelgesprächstermin, einen Arztbesuch und dann war´s das. Zu Ende packen und den letzten Abend gestalten. Habe gestern C. zum Bahnhof gebracht und heute K. verabschiedet. Bemerkt, wie sehr mein Reha-Verhalten mein Draußen-Verhalten spiegelt: Draußen zieh ich mein Ding alleine durch und auch hier habe ich mich an niemanden gebunden. Für K. und C. war der Abschied hart. Ich verabschiede mich ohne Träne im Knopfloch. Unsentimental. Selbst die wirklich liebe Verabschiedung durch meine Sport-Therapeuten (Frau L. hat mich in den Arm genommen, Herr K. betont, ich müsse unbedingt in die Gegend wiederkommen – aber zum Urlaub!), das hat mich bewegt, aber nicht zum Heulen gebracht. Nach der Inflation von Tränen, der großen Flutwelle allüberall, geh ich – trocken. Und mit einem unfertigen Gefühl. Ich habe hier einen Prozess begonnen, den ich weiterführen werde. Na klar will ich noch immer alles vermeiden, was mir Angst macht und unangenehm ist, aber ich weiß, damit komm ich weder weit noch durch.

Mein letztes Einzelgespräch ernüchternd – ich bin arbeitsfähig. Wie? Ich bin noch nicht so weit. Ich tauche also in der Klinik-Statistik als geheilt auf, und das zählt. Vor allem für die BfA, die mir diese Reha ermöglicht hat. Meine Stimmungskurven haben sich verbessert – das stimmt, es GEHT mir besser. Aber bin ich geheilt? Ich bin noch weit davon weg.

Saß bis vor ganz kurzem mit einem Glas Rotwein auf dem Balkon. Mein Abschied von W. heute war ein weiterer Ausflug in den Lightroom. Kölpiner See, Strandcruisen. Blöderweise legte sich sofort der selbe Typ vom letzten Mal zu mir und es dauerte eine Weile bis ich ihn abgeschüttelt hatte. (Nachdem alle Möglichkeiten aus dem Repertoire des „Training Sozialer Kompetenz“ gescheitert waren.) Ich tat wie mein erster Sex hier – ich stand auf und ging weiter. Erst pinkeln, dann den Segler anschauen, der unnah von den Büschen im Gras saß und wichste. Da hab ich mich daneben gesetzt und es ihm gleich getan, während wir uns über das Wetter, den „Urlaub“ an der Seenplatte und Segelboote austauschten. Auch eine neue Erfahrung. Wie FKK. Also irgendwas hat´s doch gebracht, wenn ich mich nackt an einen Strand lege und im gleißenden Sonnenschein, bewabert von den Reflektionen, die die Wasseroberfläche auf meinen Körper zaubert, die Haare nass vom Süßwasser, der Körper ungleichmäßig gebräunt aber 300 Gramm leichter und mit ein paar Muskeln mehr, ein bisschen Fett weniger, meinen Schwanz wichse und wichse, und lächle und wichse und irgendwann auf das hochgewachsene Gras komme, während ein Mann mit hübschem Körper und dänischem Akzent seine Eier krault. Nicht ankomme. Komme. Oder doch ankomme? Und wieder mal heißt es: „...und jetzt fang ich erst an. Das ist der Anfang.“

Mittwoch, 14. Dezember 2005

TAG 41

Der vorletzte und der letzte Tag werden verschmelzen. Dachte ich mir schon. In der Stadt ist Goodbye-Party von D. und Co. Aber da ich an den Massenaktivitäten eh nie teilgenommen habe und hier schon arg viele Abscheide gefeiert habe, findet das heute ohne mich statt. Ich hab mir 2 strengstens verbotene Flaschen Wein allein gegönnt. (2 a 0,2 l.) Zeit, mich wieder daran zu gewöhnen, dass ich mein Leben selbst bestimme. Harvey grast wie gewohnt (nur jetzt schon zu Taglichtzeiten) vor meinem Balkon. Links überrede ich M. zu zwei (erlaubten) Negerküssen – pardon, Grabower Küssen. Rauche, lese Sven Regener, rechts eine Neue, der ich in Balkon-Kurzfassung von meinem Horror-Einstieg hier berichte. Der Kreis schließt sich langsam. Vom Hafen herauf Klänge einer Live-Band. Sieben Brücken zu Anfang, HölleHölleHölle zum Schluss. Das Übliche.
Vorfreude auf übermorgen. Warum freu ich mich so auf den Hund? Ich weiß nicht mal ob G. ihn mir leiht. Aber vielleicht brauche ich jetzt einfach dieses eine Wesen, das sich freut mich zu sehen, sich freut, mit mir zu sein und ungestüm sein zu können. Zu rennen, zu spielen – ohne verbale Kommunikation. Ohne Fragen, Beschwerden, Klagen, Fragebögen, Analysen. Einfach nur sein.

Dienstag, 13. Dezember 2005

TAG 40

Gruppentherapie geschwänzt. Stattdessen mit C. und K. nach Klink an den Strand. Die beiden haben sich für den sozialurbanisierten Strand am Tagungszentrum entschieden und ich bin weiter an den Kölpiner See. Gute Idee, wie sich herausstellte. Ein Typ folgte mir, baute sich am Strand in meiner Nähe auf (ansonsten war keiner da, nur die Fische und Möwen und unzählige Marienkäfer) und wir flirteten vorsichtig bis ich meine Sachen packte, langsam in die nächste Bucht taperte (mich immer wieder umschauend) und er anbiss. Wichsen und blasen im Freien, und gerade als wir fertig waren schlenderten Fußgänger durchs Bild. Definitiv spannender als Problemlösungsgespräche.
Danach C. und K. aufgegabelt und ins Kino „The Island“ und dann MacDonalds. Fast wie Urlaub.

Montag, 12. Dezember 2005

TAG 39

Ich mag nicht mehr, will heim. Es soll jetzt endlich vorbei sein. Ich will 9in ruhe gelassen werden. (Achtung Achtung – hier spreche nicht Ich sondern meine Krankheit. Kotz)

Freitag, 9. Dezember 2005

TAG 38, Samstag

Allein unter Schnüfflern. Auf dem Weg zum Zigarettenschmuggeln nach Polen. Es fängt an zu regnen, ich betätige die Scheibenwischanlage.
H. (vom Rücksitz): „Mmmmmmh – has Du da Parfum im Wischwasser? Ich riech das so gerne.“
Ich: „Äh – nein. Kein Parfum.“
H.: „Ich mag das ja alles gern was so riecht. Nagellack und so weiter.“
M. (vom Beifahrersitz): „Habt Ihr als Kinder auch immer Uhu gekaut? So statt Kaugummi?“

Donnerstag, 8. Dezember 2005

TAG 37

Ich habe mehr freie Zeit als mir lieb ist und werde ungeduldig auf Berlin. Heute Absage für ein Fernsehprojekt. Das Einzelgespräch mit der S. sitzt mir noch im Nacken. Es hat mir die Reha versaut. Dann noch ein Vorfall in der PLG gestern. C. aus O. mit ihrem Läuterungsauftritt. „Ich bin ein neuer Mensch. Dank Dr. P.“. So unüberzeugend überzogen wie sie Montag ihre totale Verzweiflung inszenierte, schluchzend, Haare schmeißend, mit verzerrtem Gesicht, lieferte sie dann gestern anschaulich Christinaä Himmelfahrt. Laienschauspiel.
Glückwunsch, hiermit überreiche ich ihnen den Goldenen P. Ab morgen auch P. light? Musste innerlich grinsen, als sie heute beim Frühtreff erfuhr, dass Dr. P. in Urlaub geht. Mal schauen wie lang die alte C. braucht, bis sie die neue C. wieder okkupiert hat. Ich glaube nicht an Wunderheilungen, weiß aber um die manipulativen Fähigkeiten von Psychologen. Immerhin bringen sie sie meist im Dienste des Patienten zum Einsatz. So ein brainwash ist eine Sache. Das olle Ding sauber zu halten wieder eine ganz andere. P. – jetzt mit Dauerglanz, das wär´s... aber was würde dann die Waschmittelindustrie sagen...

Mittwoch, 7. Dezember 2005

TAG 36

5 Wochen rum. Immer weniger Termine, immer mehr Zeit für „Until I find you“ von John Irving (noch 100 Seiten).

Dienstag, 6. Dezember 2005

TAG 35

Erst wütend, dann irgendwann brach das Lachen durch. Natürlich ausgerechnet bei der progressiven Muskelentspannung, so dass an Entspannung nicht zu denken war, schon gar nicht progressiv. Auslöser war M.M aus L., die sich setzte, den Schoß mit einem Wolldeckchen bedeckte und ein Kissen in den Nacken stellte, was mich an Annette K. in der 7. Klasse erinnerte, die eine tolle Heidi-Zeichentrick-Persiflage drauf hatte. Indem sie ihren Schoß mit einem Halstuch bedeckte, sich an den Sitzkanten ihres Stuhles festklammerte und dann mit dem Stuhl hin und herhampelte, lieferte sie eine wunderbare Parodie der gehbehinderten Klara in ihrem Rollstuhl. Der Satz „Heidi, Heidi, nicht so schnell! Der Bergweg ist so steil!“ war ein hervorragend schmückender Monolog zu dieser Aktion.

Höre die „Nunsexmonkrock“ rauf und runter. Ein Meilenstein der Popgeschichte, mindestens so wichtig wie „Ray of Light“ und „Hounds of Love“.

Habe das Video meiner Performance gesichtet. Und war sehr zufrieden. Diverse kleine Kritikpunkte an mir selbst, aber alles in allem gefiel mir, was ich sah. (Was man auf dem TV-Schirm nicht sehen konnte: ich habe gestern meine ersten beiden grauen Brusthaare entdeckt und natürlich sofort entfernt.) Auch L´Oréal gebührt Lob für „Perfect Match W8, Caramel“ und Chanel für Précision T-Mat. Trotz Schwitzens ein glatter matter Teint! Aber das Gesicht wird zu dick - kein Wunder, bei der Ernährung hier. Und die Haare waren nicht besonders gut gestylt. Aber sonst – Performance: für meine Verhältnisse und dafür, dass es das allererste mal war: eight out of ten.

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42 DAYS

Sozialphobie ist die dritthäufigste psychische Störung nach Depression und Alkoholismus. Unser Protagonist leidet seit vielen Jahren an dieser Erkrankung. Nachdem ihn die Phobie beruflich und in viererlei Hinsicht auch privat ins Aus katapultiert hat, beschließt er, sich in Behandlung zu begeben. Und weil er es sich nicht leicht machen will und an radikale Methoden glaubt, begibt er sich für eine sechswöchige REHA-Maßnahme in eine Fachklinik für psychosomatische Erkrankungen. An eines hat er jedoch nicht gedacht: dass die Kliniksituation an sich, die ständige Konfrontation mit Patienten und Pflegepersonal, zunächst einmal Futter für seine Ängste sein wird. Anstatt sich in der Klinik aufgehoben zu fühlen, schlägt er dort zunächst ziemlich hart auf.

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