Freitag, 11. November 2005

TAG 18, Sonntag

Heute morgen bin ich komisch aufgewacht. Letzte Nacht träumte ich, mein Geschlecht sei operativ verändert worden. Ich war eine Frau, noch dazu eine Frau mit kleinen Titten. Als ich mich über die Titten beschwerte, erklärte mir Romy Haag, die seien viel natürlicher als die dicken Dinger, die andere sich machen lassen, aber ich wusste, dass sie innerlich triumphierte, dass man bei mir an Silikon gespart hatte. Ich betastete meine knallharten kleinen Titten und dachte „von wegen Natürlichkeit – wer die in die Finger bekommt, weiß doch sofort bescheid...“
Ich war nicht nur wegen der Größe meiner Brüste in Aufruhr, es gab etwas, das mich viel mehr entsetzte: ich hatte gar keine Geschlechtsumwandlung gewollt. Da musste jemand mich missverstanden haben. Und noch im Traum viel mir ein Gespräch ein, das ich mit D. gehabt hatte, in dem es um Transsexuelle ging. Wir waren beide der Ansicht gewesen, dass viele Transsexuelle nicht notwendigerweise ihr Geschlecht ändern wollen, sondern ihren eigenen Körper vernichten. Und besser als von-Mann-zu-Frau oder umgekehrt, kann man sich gar nicht ausradieren.
Ich muss das jetzt nicht deuten, oder?

Donnerstag, 10. November 2005

TAG 17, SAMSTAG

Gestern Abend habe ich meine Mutter vom Bahnhof abgeholt und heute den ganzen Tag mit ihr verbracht. Auch wenn es schön ist, sie zu sehen – heute komme ich mir den ganzen Tag als Anstaltsinsasse vor, als Psycho. Ich schau durch ihre Augen auf mich drauf und versuche gleichzeitig, den Eindruck zu erwecken, dass mir das hier gut tut während ich mir innerlich ihre Fragen stelle. „Hilft es ihm?“, „Was wird danach?“, „Wie kommt er wieder auf die Beine?“ Und ich weiß es nicht. Ich lebe in dieser Blase namens Fachklinik, von der ich meine Zukunft abhängig gemacht habe und habe keinen Schimmer, was als nächstes, geschweige denn übernächstes passieren soll.
Je repars á zero?
An dieser Stelle, Überblendung zu Großaufnahme einer stark geschminkten im Stile einer Eislauftrainerin streng gescheitelten Nina Hagen, die Augen (getuscht mit schwerstem grobkörnigen Glitzerstaub) geschlossen, Sphärenklänge wie Frank B.s Klingelton, den ich mal beschrieben habe „wie die Erektion eines Engels“, Hagens signalroter Mund öffnet sich:

Ich weiß es wirrrd einmal ein Wunder gescheh´n
Und dann werden tausend Märchen wahr...

Ich habe keine Zukunftspläne außer, dass ab 18.8.2005 bitte einfach alles wie geschmiert läuft. Dass ich mit meinen und für meine Projekte und Produkten endlich wertgeschätzt, sprich fürstlich entlohnt werde. Sonst habe ich keine Idee. Und, obwohl ich die Arbeit der Therapeuten und der anderen Mitarbeiter hier hoch schätze – ich glaube auch nicht, dass mir jemand eine Idee liefern wird. Wenn Du eine helfende Hand brauchst, schau an Deinem Arm entlang.
I´m not there yet.

Festzuhalten: Aufgrund des Ankommens der Außenwelt (Mum) in der Binnenwelt (Fachklinik) wackelt die Innenwelt. Und das fühlt sich nicht gut an.

Mittwoch, 9. November 2005

TAG 16

Ich war gestern noch mit K. essen – K. ist die Frau, die an meinem ersten Samstag wegen Fehlgeburt ins Krankenhaus musste. Das Gespräch war angenehm und wir sind uns in vielen Dingen einig – zum Beispiel, dass wir uns auf das bodenlose Niveau der Nerv-Prolls nicht hinunterziehen lassen wollen. Gut zu wissen, dass C. und sie auch von der Aldi-Atmosphäre abgeturnt sind. Wir hatten mit gestressten Managern, verzweifelten Pop-Sternchen und vielleicht Jessica Stockmann-Stich oder vielleicht Chiara Ohoven gerechnet, nicht mit Hartz 4 und Überbrückungsgeld-Kur-Profis in KIK-Textil-Diskonter--Flip Flops. Nachdem gestern mein Hauptthema Selbstbild und wie ich wirklich auf andere wirke war, kam diesbezüglich eine sehr interessante Neuigkeit von K.
„Menschen wie Du – schöne Menschen, sensible Menschen – die werden doch in dieser Gesellschaft plattgemacht.“
Das sollte ich Frau H. in der nächsten Sitzung erzählen: Schön ist nicht das erste Attribut, das ich mir zuordnen würde.

Harry Potter 6 zu Ende gelesen. Wenn es in Teil 7 wieder keinen Schwulen gibt, boykottiere ich die Rowling.
Konnte nicht einschlafen. Jürgen hat einen Benachrichtigungszettel für ein Einschreiben in meinem Briefkasten gefunden. Jetzt rätsele ich, wer mir ein Einschreiben schicken mag... Finanzamt? Irgend eine Mahnung? Aber von wem?? Eine Abmahnung für meinen Blog? Gestern war ich den ganzen Tag weitestgehend symptom – sprich schweißfrei, das sieht seit dem Telefonat mit Jürgen anders aus. Aber so ist sie, die wahre Welt da draußen, sie stresst mich. Auch der Gedanke an den Besuch meiner Mutter, die ich gegen Abend am Bahnhof abhole. Einerseits freue ich mich, sie zu sehen, andererseits ist mir nicht nach Entertainmentprogramm, zumal das Wetter hier immer noch außer Rand und Band ist. Regen, Sonne, Platzregen, Sonne. Hat der Wettergott eine bipolare Persönlichkeitsstörung?

Dass ich gestern symptomfrei war – hat das was mit meinem Muskelentspannungstraining zu tun? Ich glaube daran, dass ich meinem Geist über den Körper klar machen kann, dass es neben der Anspannung auch eine Entspannung geben muss. Und dass er von der permanenten Anspannung einfach mal absehen sollte.

Dienstag, 8. November 2005

TAG 15

2 Wochen sind rum. Wo sind sie hin? Mittlerweile herrscht allüberall Lagerkoller und Verkindergartnung. Ich halte mich raus, da ich das individuell ja bereits erledigt habe. Alle anderen leiden, aber das wird vom ultraüblen Wetter begünstigt. Seit ein paar Tagen (2? 3?) regnet es unaufhörlich. Kein Schwimmen, kein Sonnen ist möglich, und diejenigen, die keine Bücher mitgebracht haben, machen sich ihre eigene Unterhaltung, indem sie sich an die Gurgel gehen. So auch heute in der PLG geschehen. Dabei hatte ich auf Anraten meiner Therapeutin ein Thema vorbereitet, das sicher auch die anderen interessiert hätte – „Mein Selbstbild und das Bild, das die anderen von mir haben.“ Ich bin ja noch ein paar Wochen hier.

Montag, 7. November 2005

TAG 14

Angst in der Aula. Ich bekomme bestätigt, was ich kürzlich im Einzelgespräch erfuhr: ich bin nicht nur sozialphobisch, sondern auch agoraphobisch. Agoraphobie, die Angst vorm Großen Platz, nicht die Angst, zu platzen. Agoraphobisch ist man, wenn man Theater, Kinos, Geschäfte und öffentliche Verkehrsmittel nicht aushalten kann. Allerdings nicht wegen der Örtlichkeit sondern wegen der dort vorhandenen Menschen. Ich dachte immer, dies sei Teil meiner Sozialphobie, aber für die sind Prüfungs- und sonstige Gesprächssituationen (u.a. auch Therapiegespräch) charakteristisch. Es ist nicht so, dass sich eine Angst ausbildet und ausweitet wie nasse Tusche auf Papier, aber es kommt in 25% aller Fälle vor, dass man von mehreren Ängsten betroffen ist.
In der Ergotherapie male ich eine Art Mandala in Pink- und Orangetönen. Damit wir nicht wie beim letzten Mal Eso-Musik hören müssen, habe ich die Robbie Williams Greatest Hits CD mitgebracht. Unsere Therapeutin liebt Robbie und war sogar beim Konzert in der Wuhlheide. Ich hoffe (und zweifle daran), dass Robbie auch bei R. und I. (beide über 60) gut ankommen wird. Nach einer halben Stunde des selbstverlorenen Malens in besinnlicher Stille sagt I. mit einem wohligen Seufzer „Ohhhh. „Feel“ ist doch wirklich das allerschönste Lied von Robbie Williams!“

Im Einzelgespräch werde ich aufgefordert, die Gedanken zu formulieren, die ich in einer Angstsituation (z.B an der Supermarktkasse) habe. Dies erweist sich als äußerst schwierig, da ich mich kaum an Gedanken erinnern kann. Es ist wie eine Ausgrabung – ich formuliere eher, welche Gedanken meinen Gefühlen zugrunde liegen, als dass ich die Gedanken treffsicher beschreiben kann. So sieht auch meine Hausaufgabe für´s nächste Mal aus: die Gedanken zu notieren, die mir in Angstsituationen durch den Kopf gehen.
Ich habe auch meine Streit-Situation mit M. thematisert. Erschreckend, wie charakteristisch mein (Nicht-)Verhalten ihr gegenüber ist. Mir wird klar, dass ich schon immer Freundschaften beendet habe, wenn ich den Eindruck hatte, dass meine Wertmaßstäbe verletzt wurden. Ohne diese Wertmaßstäbe jedoch vorher klargemacht zu haben. Ich bin nicht nur hyper-alarmbereit, sondern auch hypersensibel. Und hyperunsensibel, was die (in meinen Augen) Vorsätze der anderen angeht. Ich unterstelle, klassifiziere, verstoße.
Aussprache mit M. Sie hatte keine Ahnung, dass sie mich so verletzt hatte.
Kann ich bitte einen Therapeuten haben, der mir im wahren Leben auch diese Klarheit verschafft?

Meine Hausaufgabe:
Was ich während einer Angst/Beklemmungssituation empfinde:

Gemeinsames Essen im Speisesaal. Ich bin befangen, habe einen Kloß im Hals und kann nur schlecht schlucken. Ich denke „die halten mich bestimmt für einen Bauerntrampel, der nicht gelernt hat, geräuscharm zu essen.“

Gespräch mit dem Chef. Es geht um Fehlzahlen bei der Inventur. Ich denke: „Bestimmt denkt er, dass ich die CDs selbst verkauft und in die eigene Tasche gewirtschaftet habe.“

Vor Gericht. Obwohl ich den Kläger vertrete denke ich, dass man mich wegen meiner Nervosität für den eigentlich Schuldigen hält.

Und dann fällt mir diese schlimme Panikattacke ein, die ich nach der Trennung von M. hatte. Ich war im Café Morena verabredet und sehe davor jemanden sitzen, den ich für M. halte. Das hat mir den Atem geraubt. So schnell denken konnte ich gar nicht, wie der Schock durch mich knallte wie ein Blitz. Was mag ich da gedacht haben? Etwas banales wie „ich KANN ihn nicht sehen“, das DARF nicht sein.“ In den ersten Wochen der Trennung konnte ich nicht einschlafen, weil ich Atemnot hatte, sobald ich allein war. Die Luft kam nicht in den Lungen an, glaubte ich. Immer lief der Fernseher, selbst nachts, falls ich aufwachte.
Heute weiß ich, dass das zugleich der Beginn einer 7-9monatigen depressiven Episode war.

Freitag, 4. November 2005

TAG 13

Nachdem ich meiner Co-Therapeutin glaubhaft und wahrheitsgemäß versichern konnte, dass ich heute ein Problem damit habe, in einem Raum mit 20 Menschen meine Muskeln progressiv nach Jacobsen zu relaxieren, habe ich frei gemacht und meinen ersten Besuch empfangen. Meine Freundin Ch. hat auf dem Weg von München über Berlin an die Ostsee in W. Zwischenstopp gemacht und wir haben einen Kaffee getrunken. Ich erklärte ihr, dass die Therapie für mich gut läuft, auch wenn es mir außerhalb der Veranstaltungen manchmal so vorkommt, als sein ich in einer vollbesetzten Aldi-Filiale (Nord) eingesperrt.
Der Streit mit F. ist bereinigt, auf M. bin ich nach wie vor sauer.

Morgen lasse ich mir bei der Anstaltsfriseuse die Wimpern färben. Ich bin abenteuerlustig. Aber nicht abenteuerlustig genug für blonde Strähnen.

Dumme Sprüche, die ich 15 Jahre oder länger nicht gehört habe, bis ich nach W. kam:
(Auf hochdeutsch wiedergegeben.)
„Du, ich hab Nadel und Faden dabei – soll ich das Loch in Deiner Jeans stopfen?“
„Du, Deine Schuhe quietschen so. Die hast Du wohl noch nicht bezahlt, watt?“

Weil rausgekommen ist, dass „Nur nicht aus Liebe weinen?“ von mir verfasst worden ist, interessiert sich nun auch F., der zweite Homo hier, für mich. Bislang waren wir uns aus dem Weg gegangen. Bei circa 180 Leuten halten sich hier momentan (meines bisherigen Wissens) 3 schwule Patienten auf. Unterdurchschnittlich, geht man doch von einem schwulen Bevölkerungsanteil von 10% aus.
T., die ich erst für eine Lesbe hielt (kurze rote Haare, Trainingshose, sog. „kesse“ Brille, Badmintonschläger und verschließbare Kaffeetasse), entpuppte sich als „Mutti“. T. bringt Spaß in die Bude, hat oft das letzte Wort, und weil das meistens gut ist, gönne ich es ihr. Wir haben Lieblingswörter, die wir uns bemühen, in jeder Unterhaltung unterzubringen. Manchmal müssten wir uns bemühen, nicht zu sehr unter die Gürtellinie zu gehen, tun es dann aber doch nicht. Unser derzeitiger Wort-Favorit ist nach wie vor „wirkmächtig“. Der alkoholfreie Sekt, den wir gerade zu F.s Abschied getrunken haben, ist geschmacksfrei, etwas seifig im Abgang und auch sonst nicht sehr wirkmächtig.
Heute ein Neuzugang und morgen noch mal sechs Frauen für Team 2. Hoffentlich noch ein paar Leute, die die Fähigkeit besitzen, ihr Leid mit lautem Lachen verlauten zu lassen. Heute z.B. haben wir uns über das „restless leg-Syndrom“ nicht mehr eingekriegt. Manche Angstpatienten können nicht einschlafen, weil ihre Beine zucken. Wenn man Gesichter auf die Knie malt und eine Kamera draufhält könnte man es den Dritten als Kindersendung verkaufen. Oder als Musikvideo: Guilty feet have got no rhythm. Ganz zu schweigen davon, was RTL2 oder, noch besser, Arte mit einem so potenten Format berwerkstelligen könnte. Nicht lachen – ich erinnere mich an einen hochdotierten Kurzfilm namens „23 Barbiepuppen kippen um“ in dem nichts anderes geschieht als der Titel verspricht.

Habe ich schon erwähnt, das es im örtlichen KIK-Textildiskonter eine „Parfum“-Abteilung gibt, in der nicht nur der Herrenduft „Gattaca“, sondern auch das Duftwasser „Pretty Stalking“ angeboten wird? Wirklich wahr.

Donnerstag, 3. November 2005

TAG 12

Ich könnte nicht sagen, dass ich es aktiv gehofft hätte, aber irgend etwas in mir hat sicherlich nicht damit gerechnet, es nie für möglich gehalten, dass ich noch ein einziges Mal in meinen Leben das Stück „Live is live“ der Band „Opus“ von vorne bis hinten würde hören, geschweige denn, meine Arme und Schultern dazu rhythmisch bewegen zu müssen. Heute so geschehen bei der Schulter-Nacken-Gymnastik. Aber das ist das geringere Übel. Meine schlechte Laune pubertiert und verwandelt sich in Kaltschnäuzigkeit. Ich formuliere zunehmend ehrlich. Unverfroren. Sage, dass ich das dumme Gelaber in den Pausen (und teilweise in den Gruppentherapien und Seminaren) nicht mehr ertragen kann. Prollhausen deluxe und GlamourDick mittendrin. Ich werde selbst zum Proll, zum Mobber, zum Täter. Denke immer häufiger „Leck mich am Arsch“ ohne jede sexuelle Konnotation. (Und: JA! Sex fehlt mir.)
Anstelle von Alkohol nehme ich Zucker in Form von Hanutas zu mir. Doch liegt meine üble Laune nur zum Teil am Blutzucker-Abrutschen, mehr an dem Hass, den ich auf meine Kinderzeit-Mobber entdeckt habe und nun hege und pflege und auf meine Mitpatienten projiziere. I don´t suffer fools from the hill gladly. They get on my nerves and I don´t let them stay there. Meine Haltung ist arrogant und elitär. Ich nehme mich und meine Bedürfnisse wichtig. Eines dieser Bedürfnisse ist Privatsphäre. Die habe ich nur auf dem Zimmer. Mittlerweile rauche ich heimlich abends auf dem Balkon, weil bei mir Nikotinzufuhr nicht zwingend mit dem Austausch von Platitüden einhergeht. Ich will mich nicht zutexten lassen, sondern von den 14 Stunden, die ich hier weitestgehend im Wachzustand zubringe, zumindest die letzten beiden in splendid isolation verbringen: ich, das Telefon, meine Cola Light Lemon und eine Marlboro. (Cola Light Lemon immer noch ausverkauft...)

Habe es mir mit F. verscherzt, weil ich M. ebenfalls gefragt habe, ob sie mit an die Feisneck kommt. Nachdem F. sich vor ein paar Tagen darüber lustig gemacht hatte, dass unsere Zweier-Aktivitäten Neid und Eifersucht auslösen, ist sie jetzt selbst eifersüchtig geworden. Schade.
Sie hat sich am Badestrand schlafend gestellt und so etwas sehr Schönes verpasst. Beinahe hätte ich jemanden mit einem nicht-türkisen Badelaken (also einen Nicht-Insassen) gefragt, ob er dasselbe sieht wie ich, denn ich hatte Gelegenheit, an meinem Verstand zu zweifeln: Ein Klingeling machte mich aufmerksam auf einen Wanderer mit kreuzförmigem, blütengeschmückten Wanderstab, der eine Kette mit Holzscheibenanhänger um den Hals trug. Ihm folgten ungefähr zwei Dutzend Wanderer, welche der gleiche Schmuck zierte. Sie näherten sich vom Waldweg und marschierten über den Strand zum Waldrand empor, lächelten freundlich, entledigten sich ihrer Kleider und gingen kollektiv baden. Es scheinen Westler gewesen zu sein, a) wegen des christlichen Wanderstabes, b) weil sie Badezeug trugen (Ossis baden nackt). Das war auch ganz gut so, denn die Jüngsten Wanderer mochten so um die Mitte 50 gewesen sein.
Nachher hat M. es sich mit mir verscherzt, weil sie mich beim Abendessen vor Publikum auf ein öffentliches Erröten ansprach (dies stand nicht im Zusammenhang mit den Wanderchristen), was das Erröten verstärkte. Man spricht niemanden, in dessen Symptomkatalog Erröten vorkommt auf sein Erröten an. Aber M. hatte auch schon erzählt, wie ihre Tochter genussvoll einen Hasenköttel gegessen hatte und ihr schokoldaenfarbener Saft aus dem Mundwinkel rann. Ihr ist nichts heilig. Sie ist eine depressive Hebamme mit einem behinderten Kind.

Bin ich ein gefühlskaltes Monster, weil ich nicht mit den Menschen in der PLG (Problemlösungsgruppe, d.h. Gruppentherapie) mitleide? Dort werden schlimme Schicksalsschläge thematisiert, Tränen fließen, Taschentücher werden vollgeschneuzt. Und ich sitze dabei, distanziert – es schlägt mir nicht einmal auf die Laune. Allerdings sind heute meine Schwitz-Symptome, die zwei Tage verschwunden waren, wieder aufgetaucht, weil mich die Situation, das Erleiden zu erleiden, so gestresst hat. Ich kann mir nicht vorstellen, selbst so aus mir heraus zu platzen, vor einem Publikum, das nachher über meinen Ausbruch reden wird, das sich von mir runterziehen, die Laune verderben lässt. Nicht einmal in der Einzeltherapie habe ich bislang eine Träne vergossen.

Mittwoch, 2. November 2005

TAG 11

Die totale soziale Überforderung. Alle hängen mir zum Hals raus. Ich vermisse meine Wohnung. Ich denke an jede einzelne Pflanze auf meinem Balkon.

Kino: „War of the worlds“. Da ich ungefähr drei Jahre nicht im Kino war, hatte ich vergessen, dass die Filme, anders als auf DVD, auf DEUTSCH laufen. Egal. Hauptsache zwei Stunden raus aus der Klinik.

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Sozialphobie ist die dritthäufigste psychische Störung nach Depression und Alkoholismus. Unser Protagonist leidet seit vielen Jahren an dieser Erkrankung. Nachdem ihn die Phobie beruflich und in viererlei Hinsicht auch privat ins Aus katapultiert hat, beschließt er, sich in Behandlung zu begeben. Und weil er es sich nicht leicht machen will und an radikale Methoden glaubt, begibt er sich für eine sechswöchige REHA-Maßnahme in eine Fachklinik für psychosomatische Erkrankungen. An eines hat er jedoch nicht gedacht: dass die Kliniksituation an sich, die ständige Konfrontation mit Patienten und Pflegepersonal, zunächst einmal Futter für seine Ängste sein wird. Anstatt sich in der Klinik aufgehoben zu fühlen, schlägt er dort zunächst ziemlich hart auf.

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