Freitag, 2. Dezember 2005

TAG 33

Die Gruppentherapie wird immer unerträglicher. Heute: Massenweinen. E. aus M., die hier ist, weil sie ein Agressionskontrollproblem hat (sie prügelt ihre Kinder) schlägt als Thema Trost vor. Wie spendet man sich selber Trost? Flasche Rotwein, 3 DVDs. Kann ich so schlecht sagen. Muss ich auch nicht, denn viel spannender hat L. aus O. einen wütenden Gefühlsausbruch, weil ihre Eltern sie niemals getröstet haben. Ob sie ihren Eltern das mal offen vorgeworfen hat, wage ich zu fragen. Anstatt einer Antwort ein neuer Ausbruch. Jetzt fällt L. (die sich kürzlich nicht minder dramatisch als Stalking-Opfer outete) ein, dass ihr Freund ihr Baby durch Verabreichen von Rizinusöl abgetrieben hat. Ihr Leid wirkt wie eine amateurhafte Schauspielvorführung. Vielleicht ist das aber auch das Gesicht des Leides. Und während sie im Auto ihr Baby verliert, hört ihr Freund eine Mary-Poppins-Cassette. Jetzt weinen auch G., die morgen abreist und immer sehr nah am Wasser gebaut hat (sie wohnt auf einer Insel), auch die neue, S., die zu Hause immer stark sein muss, fällt in den Gram-Chor ein, des weiteren laufen jetzt auch bei E. aus M. die Tränen. L. hat aufgebracht längst die Sitzung gestürmt und wird von der Co-Therapeutin exklusiv betreut. Wir machen eine Pause und ich koch Grethe-Weiser-mäßig erstmal Kaffee.
Wieso habe ich bei immerhin 15% der vorgetragenen Leides-Berichte das Gefühl, dass sie erstunken und erlogen sind? Ich unterstelle dem Schicksal doch sonst gern eine üble Fantasie. Aber dass das Stalking-Opfer allein aus der Schwimmhalle nach Hause gehen musste, weil sie den Freischwimmer nicht schaffte, dann von ihrem Freund das Baby abgetrieben bekam, --- ich weiß nicht... Sie hat zu jedem PLG-Thema eine passende Tragödie. G. indes hat einfach ein großes Herz und zuviel Mitleid. Und ich sitze kalt dazwischen. Bei falschen Tränen zieh ich die Zugbrücke ein. Für heute angedroht war auch R.s Rückkehr – das essgestörte Gör, die „Bordie“-Queen. Na die wird Augen machen, mit was für Geschützen L. aus O. aufwartet...

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42 DAYS

Sozialphobie ist die dritthäufigste psychische Störung nach Depression und Alkoholismus. Unser Protagonist leidet seit vielen Jahren an dieser Erkrankung. Nachdem ihn die Phobie beruflich und in viererlei Hinsicht auch privat ins Aus katapultiert hat, beschließt er, sich in Behandlung zu begeben. Und weil er es sich nicht leicht machen will und an radikale Methoden glaubt, begibt er sich für eine sechswöchige REHA-Maßnahme in eine Fachklinik für psychosomatische Erkrankungen. An eines hat er jedoch nicht gedacht: dass die Kliniksituation an sich, die ständige Konfrontation mit Patienten und Pflegepersonal, zunächst einmal Futter für seine Ängste sein wird. Anstatt sich in der Klinik aufgehoben zu fühlen, schlägt er dort zunächst ziemlich hart auf.

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